Ich wollte mal das heiße Eisen "Priestertum" hier aufgreifen und einiges herausarbeiten, was sich so an Überlieferung findet, was schwammig, aber verwertbar ist und was man aus anderen, aber verwandten Kulturen zurückerschließen kann.
Erstmal die klassischen Bezeichnungen, die uns im germanischen Bereich für Priester begegnen: gudja (gotisch), cotinc (althochdeutsch), goði (altnordisch). Was hier bereits auffällt: Der gotische gudja scheint "nur" ein Priester zu sein, wird jedenfalls als Übersetzung für das griechische πρεσβύτερος, presbyteros verwendet. Der ahd. cotinc, sprich Goting ist eine Übersetzung für Tribun, Vorsteher (hier ist die weltliche Macht bereits klar mit im Begriff enthalten). Und der isländische goði scheint auch bereits in den frühesten Nennungen einem Häuptling an Funktionen gleich. Wenn man nun miteinbezieht, dass der christliche Priester der frühen Gemeinden natürlich auch weltlichen Einfluss hatte und die Gemeinde zusammenhielt, dann wird man allgemein für die germanischen *gudjôz gleichermaßen bereits eine Funktion als Anführer annehmen können.
Allerdings sollte man jetzt nicht vorschnell handeln und denken: "Es gab also nur einen einzigen Priester und der hieß Gode." Gerade bei uns verwandten Religionen tauchen weitere Priester auf und selten ist ein einziger Priester für ein Ritual alleine verantwortlich (zumindest, wenn es von größerer Wichtigkeit ist). Daher will ich hier einfach mal zu unseren vedischen/hinduistischen Mit-Heiden hinübersehen:
Dort finden wir den hotṛ, welcher Anrufungen und Gebete aufsagte. Dabei konnte es sich um einzelne Verse, ganze Strophen oder sogar Hymnen (unseren Götterliedern etwa entsprechend) handeln. Da jeder Abschnitt des Rituals eine Anrufung erforderte, hatte der hotṛ eine führende Rolle als Leiter. (Man könnte hier bereits an eine Entsprechung zum *gudjaz denken)
Als zweiten, finden wir den adhvaryu, der alles für das Ritual vorbereitet, was es so zu tun gab, wie z.B. den Boden zu säubern, den Altar (entspricht dem *harugaz) zu errichten, die Opfergefäße vorzubereiten, das Feuer zu entzünden, das Opfertier herbeizubringen und zu töten. Jede Handlung von ihm wurde dabei durch Gebete und Segnungen (yajus) begleitet.
Der dritte im Bunde, war der udgātṛ. Er war der Sänger, der die Hymnen nach Melodien (sāman) vortrug. Auch dies war eine gewichtige Aufgabe: Er sollte vor allem ein Loblied auf as heilige Soma vortragen (entspricht dem heiligen Met).
Der vierte und letzte war der brahman, der als Oberaufseher das ganze Ritual überwachte. Sollte Fehler auftreten, war es an ihm durch Hilfs-Anrufungen den korrekten Fortgang zu bewerkstelligen.
Wir sehen also: So ein (Priester-)Ritual war keine einfache und unstrukturierte Sache, wobei es natürlich einfacherer Hausrituale und Feld-/Wald- und Wiesenrituale gab - keine Frage -, die wie hier mehrere Priester erforderlich machte. Für den udgatr finden wir sogar noch eine mögliche germanischen Entsprechungen: den *þuli, altnordisch þulr. Allerdings könnte auch der altnordische Skalde oder der westgermanische *skapinaz als Entsprechungen herangezogen werden. Der ahd. scoph, scopf, scof glossiert jedenfalls poeta (Dichter) und vates (Prophet, Barde). Unser heutiger Schöffe ist noch ein ferner Nachhall davon.
Wenn wir uns also nochmal vor Augen führen: Es gab zahlreiche germanische Bezeichnungen für priesterliche Funktionen, *þuli als Redner, Vortragenden, *skapinaz als Sänger, *gudjaz als Anrufenden. Fehlt nur noch ein Priester für die körperlichen Tätigkeiten. Aber vielleicht ist auch der schnell gefunden: Wenn auch nur als Name überliefert finden wir den sogenannten Vifill. Wo finden wir diesen Namen? In der Þorsteins saga Víkingssonar, dort taucht er als Jarl auf mit seinem Bruder, der ebenfalls Jarl ist und zufälligerweise Veseti heißt. Fällt etwas auf? Vé-seti -> Der am Heiligtum Sitzende. Kann man auch den Namen seines Bruders auf eine religiöse Funktion zurückführen? Was bisher von der Forschung (soweit ich weiß) nicht getan wurde, tue ich hiermit: Mir scheint er klar dem ahd. weibil zu entsprechen, aus dem sich u.a. der deutsche (Feld-)Webel ergeben hat wie auch der schweizerische Amtsweibel (beides eher höhere Positionen mit Befehlsgewalt). Dazu passt auch, dass ein ahd. Verb weiben die Bedeutung hat "sich hin und her bewegen". Demnach wäre der Vifil/Weibil oder urgermanisch *waibilaz - der sich hin und her bewegt (beim Opfer) [weil er einiges zu tun hat].
Damit will ich es erstmal bewenden lassen. Was mir wichtig war aufzuzeigen: Priester zu sein damals war eher nicht eine Ein-Mann-Nummer wie bei einem katholischen Priester heute, sondern eine komplexe Aufgabe, die viel Hilfe erforderte. Man hatte auf vieles zu achten und einiges zu erledigen, je nachdem wie komplex das Opferritual eben war. Bei einem Jahresfest war mit Sicherheit auch ein König zugegen (als oberster Opferer). Was auf Island (dem Land ohne König) vielleicht dazu führte, dass die Goden enorm aufsteigen konnten (ohne König waren sie nun an höchster Stelle).